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Datum: 11.07.10 16:38
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Gary L. Francione: Animals, Property, and the Law (Vorwort von William Kunstler), Temple University Press, Philadelphia 1995 (2. Aufl. 2007)
Neben einem Ratgeber für Schüler und Studenten, der ihnen hilft in ihrer Ausbildung keine Tierversuche durchführen zu müssen (Vivisection and Dissection in the Classroom: A Guide to Conscientious Objection, Amer 1992), ist dieses Buch seine erste umfangreiche Veröffentlichung. Dem geht jedoch bereits eine mehr als zehnjährige Erfahrung und viele Aufsätze voran.
Das zentrale Anliegen des Buches ist die Frage zu beantworten, weshalb Tierschutzgesetze seit ihrer Einführung völlig unfähig waren und sind, die nichtmenschlichen Tiere auch wirklich signifikant vor Schaden zu schützen, wozu sie – wie man meinen könnte – da sein müssten. Den wesentlichen Grund hierfür identifiziert er darin, dass nme. Tiere auf rechtlicher Ebene als Eigentum ihrer Besitzer gelten. Kommt es nun zu einem Konflikt im Bereich des Tierschutzes, gilt es die Interessen des Eigentümers gegen die seines Eigentums (der Tiere) abzuwägen. Es ist klar, dass die Interessen der Eigentümer an ihrem Eigentum immer höher gewertet werden als umgekehrt und deshalb bei Konflikten immer zugunsten der Ausbeuter entschieden wird. Im Tierschutzgesetz heißt es, "unnötiges" Leiden sei verboten, doch was nötig und was unnötig ist, bestimmen die Anforderung der industriellen Tierausbeutung, nicht die Interesses der Tiere. Tierschutz kann deshalb nur dann "Fortschritte" machen, wenn er mit den Interessen des Eigentümers nicht kollidiert.
Diese Feststellung hat weitere Implikationen. Die Interessen des Eigentümers sind immer auf den Erhalt seiner Tätigkeit und Berufsgrundlage gerichtet. D.h. jede Veränderung, die seine Grundlage angreifen würde, ist nicht in seinem Interesse. Da sein Interesse immer überwiegt, können – auf juristischer Ebene – Tierschutzverbesserungen bereits theoretisch nie zu einer Abschaffung führen (auch nicht "langfristig"), sondern entsprechen den ökonomischen Interessen des Tierausbeuters und sind für ihn nützlich.
Notwendig ist es, das System zu ändern. Nichtmenschliche Tiere, so Francione, müssen einen juristischen Status erlangen, der es gewährleistet, dass ihre Interessen im Konfliktfall nicht automatisch den Interessen des Ausbeuters untergeordnet werden. Sie müssen rechtlich aufgewertet werden, d.h. ihr Status als Eigentum anderer zu gelten, muss abgeschafft und sie müssen mit fundamentalen Rechten versehen werden: den Grundrechten wie sie heute allen Menschen zustehen.
Diesem Nachweis wird in drei Haupt-Teilen nachgegangen. Der erste behandelt das Tierschutzrecht als Teil der Ausbeutungsstrategie (er nennt dieses Prinzip legal welfarism). Hier erfährt man u.a., dass um die Belange von Tieren vom Gerichtssaal fernzuhalten, das Konzept der Klageberechtigung angewandt wird, d.h. dass Kläger um einen Klageanspruch zu erheben, selbst vor Gericht erscheinen müssen. Bei nichtmenschlichen Tieren ist dies nicht möglich, sodass das Tierschutzgesetz nur von den staatlichen Stellen eingeklagt werden kann und diese denkbar wenig Interesse an einem über das Minimum hinausgehenden Wohl der Tiere haben. Verboten sind grundlegend nur solche Grausamkeiten, die nicht ökonomisch gerechtfertigt sind, z.B. die Tiere verhungern zu lassen. Alle anderen sind erlaubt.
Francione diskutiert weiterhin den rechtlichen Status nichtmenschlicher Tiere seit den Anfängen der neuzeitlichen Rechtsdiskussion und zeigt, wie selbst "Haustiere" vor dem Gesetz nur selten einen höheren Wert haben als den Marktwert als Eigentum des Besitzers. Er befasst sich außerdem mit rechtlichen und philosophischen Argumenten gegen Tierrechte und wiederholt schließlich in der Zusammenfassung den wesentlichen Punkt: "[S]o lange wie Tiere im rechtlichen Sinne als Mittel für menschliche Zwecke betrachtet werden, verlangen gesetzliche Standards, die 'humane' Behandlung fordern und 'unnötiges' Leiden verbieten, nichts anders als dass die Interessen der Tiere gegen die menschlichen Interessen abgewogen werden – eine Abwiegung, die immer zugunsten der menschlichen Eigentumsrechte ausfällt."
Im zweiten Teil wird die Unwirksamkeit der Gesetze gegen Tierquälerei (Anticruelty Laws) betrachtet. Obwohl es heißt, die Gesetze dienten dazu, die Tiere "um ihrer selbst willen" zu schützen, kennen die Verurteilungen, die sich auf sie berufen, nur zwei Begründungen: die Grausamkeit schade der öffentlichen Moral oder den Fall, dass nicht irgendein Nutzen für die Menschen bzw. ihrer Ausbeutung der Tiere abgeleitet werden konnte. Kann hingegen ein Nutzen gerechtfertigt werden, sind die Grausamkeiten, die die Praktik erzeugen, sofort gerechtfertigt. Ob die Quälerei der Tiere unter "unnötiges Leiden" fällt ist, wie nachgewiesen wird, ist eine Entscheidung, die sich an der Notwendigkeit der Ausbeutungsmethode orientiert, nicht am Wohl des Tieres. Selbst wenn Veterinäre die Praktik als Grausamkeit bezeichnen und selbst wenn es Alternative gibt, können die Praktiken nicht über das Tierschutzgesetz geahndet werden, insofern sie eine Funktion im Produktionsprozess haben (das trifft z.B. bis heute auf das betäubungslose Kastrieren zu).
Im dritten Teil behandelt Francione im Detail die Gesetzgebung zu Tierversuchen, da sie in den USA – wie auch in anderen Ländern – der Bereich mit den striktesten gesetzlichen Auflagen darstellt. Hier lautet die Beschränkung bereits unverblümter, dass der Tierversuch dann gerechtfertigt ist, wenn er einen Nutzen für den Menschen hat. Jedoch kann praktisch jeder Versuch irgendeinen Nutzen haben, weil er zwangsläufig irgendwelche Informationen erzeugt und ist somit automatisch gerechtfertigt. Ob diese Informationen überhaupt relevant, bereits vorhanden oder nutzbar sind, ist unwichtig.
Diese Gesetze zum "Schutz" der Tiere verlangen lediglich "ausreichend Nahrung, Wasser und eine halbwegs saubere Umgebung", d.h. betreffen die Faktoren, die notwendig sind, damit das Tier gesund genug ist, um verwertbare Daten zu liefern. Vor den körperlichen und psychischen Verletzungen der Experimente werden sie nicht geschützt – wenn die Versuchsanordnung das Hungern vorsieht, tritt die Anforderung nach "ausreichend Nahrung" automatisch außer Kraft. Auch diese Gesetze schützen also nur die menschlichen Interessen (verwertbare Daten), nicht die Tiere selbst. Die Betrachtung der Gerichtsurteile, die sich auf den Animal Welfare Act beziehen, bestätigen, dass der Schutz dort aufhört, wo er für die Ausbeuter nicht produktiv ist, sondern ihre Möglichkeiten einschränken würde – er ist nichts weiter als ein "symbolisches Gesetz".
Manche Tierausbeuter behaupten damals wie heute, dass das Tierschutzgesetz den Tieren "Rechte" verleihen würde. Das es nicht so ist, wird offenkundig, wenn man dagegenhält, was ein Recht ist: der Schutz der eigenen Interessen, auch wenn andere von der Missachtung der Interessen profitieren würden (so Francione an anderer Stelle). Das Tierschutzgesetz schützt die Interessen der Tiere (z.B. auf Nahrung) nur solange sie niemandem in Wege stehen. Profitiert jemand von der Missachtung der Interessen (sollen die Tiere zu experimentalen Zwecken verhungern), werden sie fallen gelassen. Daher konstituieren Tierschutzgesetze nichts, was einem Recht vergleichbar wäre. Sie sind kein Weg zur Abschaffung der Ausbeutung, sondern Instrumente derselben.
Im Epilog überlegt Francione, mit welchen Strategien der Eigentums-Status der Tiere geändert werden kann. Die Variante des Utilitarismus von Singer kommt aus bekannten Gründen nicht in Frage; die Variante eines etwas abgeschwächten Speziesismus ist ähnlich unbefriedigend; die Meinung, "Tierschutzverbesserungen" seien ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu Tierrechten, ist praktisch wie theoretisch fehlerhaft und kontraproduktiv. Eine positive Möglichkeit auf dem Weg zu Tierrechten hingegen wären Verbote bestimmter Teilbereiche der Tierausbeutung. Dieses Thema wird er aber in seinem nächsten Buch noch ausführlicher diskutieren.
Formal gesehen, machen die kurzen Zusammenfassungen am Ende jedes Unterkapitels das Buch zwar übersichtlich (außerdem wird es durch ein Register erschlossen), sind aber auch Merkmal seines Charakters als etwas, das einem Jura-Fachbuch nahe kommt. Es hat lange und detaillierte Ausführungen und die Diskussion mancher Fall-Beispiele ist auch recht umfangreich wie überhaupt der dritte Teil an sich. Wer nicht direkt an der rechtlichen Diskussion interessiert ist, wird vorzugsweise eher zu seinen nächsten Büchern greifen, die dieses als theoretische Grundlage voraussetzen, wofür man es insofern nicht gelesen haben muss, da man schon mit rein empirischer Erfahrung nicht zu einem anderen Schluss kommen kann, als dass die Verbesserung von Tierschutzgesetzen völlig nutzlos ist.
Fazit: Trotz aller Ausführlichkeit legt das Buch die theoretische Grundlage für den Umstand wie das Tierschutzrecht den Eigentumsstatus der Tiere festigt und die ökonomischen Interessen der Tierausbeuter schützt. Damit hat es trotz 15 Jahren nichts von seiner Aktualität eingebüßt, denn bis heute besteht der Großteil der sog. Tierrechtsbewegung aus Tierschützern, die zum einen mit dem Tierschutzgesetz argumentiert und zum anderen versuchen, dieses zu "verbessern". Ein bereits auf theoretischer Ebene hoffnungs- und vor allem nutzloses Unterfangen.
Tierschützer verkünden vermeintliche Erfolge, wenn sei die Praxis der Produktion in der Tierausbeutungsindustrie ein kleinwenig geändert haben. Sie verschwenden dabei nicht eine Minute daran zu überprüfen, ob es der Industrie als solcher auch geschadet hat oder nur den Erneuerungen der Produktionsmethoden hinterhergelaufen ist (wie bei den "Abschaffungen" von Kastenständen für Schweine, Anbindehaltung von Kälbern oder betäubungsloser Kastration). Das Tierschutzgesetz (mit allen seinen "Verbesserungen") ist Ausbeutungsinstrument und kein Schritt auf dem Weg zur Abschaffung.
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