Name: Achim Stößer Permalink: https://tierrechtsforen.de/13/1793/1906
Datum: 30.05.09 00:42
Von Stephan Börnecke
Heute zum Frühstück ein knackiges, mit Käse überbackenes Brötchen genossen? Und gestern Abend die Pizza mit blütenweißem Mozzarella? Dazu Salat mit Schafskäsebrocken? Hat's etwa nicht geschmeckt? War es krustig? Oder aber fad? Gummiartig? Vielleicht waren nicht Bäcker oder Koch daran Schuld, sondern eventuell könnte ein Fall von "Betrug am Verbraucher" vorliegen, wie ihn die Hamburger Verbraucherzentrale seit einiger Zeit häufiger beobachtet.
Nicht Käse, sondern Analog-Käse, ein Imitat, ein Kunstprodukt, könnte auf dem Backwerk oder im Salat gewesen sein. Und damit ein Lebensmittel, in dem der Käse von der Kuh durch Raps-, Palm- oder Sonnenblumenöl ersetzt wurde. Ganz wie im Speiseeis auch. Nur kaum einer hat's gemerkt.
Oder ist alles halb so schlimm, zumal Pflanzenfetten dank jahrzehntelanger Marketing-Bemühungen der Margarine-Industrie etwas Dynamisches, der Butter aber eher etwas Altbackenes anhängt? Nicht nur Verbraucherschützer, sondern auch Milchbauern beobachten den Trend zum Milch-Substitut in Käse und Eis mit Argwohn, schmälert er doch ihren Absatz.
Zitat:
Marktanteile
Welche Bedeutung Kunst-Käse inzwischen für den Markt erreicht hat, ist nicht ganz klar. Eine Statistik darüber existiert nicht. Max Wiedemann, Chef des Zutaten-Marktführers Jeneil, schätzt, dass von den EU-weit 350.000 Tonnen Käse, die die Industrie verarbeitet, nur etwa 10.000 Tonnen dem Kunst-Käse zuzuordnen sind. Wiedemann geht allerdings davon aus, dass es bald 50 000 Tonnen sein werden.
Analog-Käse liege, etwa weil die Pizza schneller fertig wird und dennoch nicht verbrennt, voll im Trend. Ob Milchindustrieverband oder die Lebensmittelwirtschaft - von der Frankfurter Rundschau befragte Fachleute tappen völlig im Dunkeln über die verbrauchten Mengen. Die ZDF-Sendung Frontal 21 sprach von 100.000 Tonnen, die allein pro Jahr in Deutschland produziert würden. Frontal-Autor Friedrich Kurz beruft sich dabei auf verlässliche Angaben aus Kreisen der Industrie.
Nach einer Studie, auf die der Milchindustrieverband verweist, ist der Markt allerdings nur 20.000 Tonnen groß. Die Steigerungsraten für Analogkäse seien jedoch hoch und lägen bei etwa acht Prozent. Die Marktverdrängung sei also messbar, wenn auch noch gering. Unklar bleibt, wie groß der Einfluss auf den Milchpreis ist.
Aktuelle Untersuchungen belegen den Trend: In jeder dritten bis vierten Probe, das zeigt der bundesweite Überwachungsplan des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, fanden die Tester bei Verdachts-Untersuchungen nicht den vom Hersteller oder Verkäufer behaupteten Edamer, Cheddar oder Mozzarella, sondern das aus einer Mischung aus Pflanzenfett, Milcheiweiß, Wasser, Stärke und Geschmacksverstärkern zusammengerührte Kunstprodukt. Das freilich ist nicht giftig, auch "nicht reif für die Deponie", sondern immer noch ein Lebensmittel, worauf der Geschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BVL), Michael Welsch, Wert legt. Aber das Imitat ist eben kein Natur-Käse, und es wird dem Verbraucher regelrecht untergeschoben.
In 115 Proben wurden die Analytiker laut Überwachungsplan des BVL gleich 31 Male fündig, vorwiegend in Pizzabuden und an Imbissständen, aber auch in Bäckereien. Als Käse offeriert, verbirgt sich manchmal eine "Lebensmittelzubereitung aus Magermilch und Pflanzenöl in Salzlake" und damit ein Imitat im Produkt. Das enthält zwar noch Milcheiweiß und ist daher auch keine Alternative für Veganer, aber eben keinen oder nur noch wenig Kuh- oder Schafskäse. Auf der Speisekarte oder am Kühlregal im Supermarkt ist das oft nicht deklariert oder nur schwer zu erkennen.
"Die Wahlfreiheit des Verbrauchers", gesteht auch Welsch ein, ist dahin. Denn laut Käseverordnung darf nur Käse draufstehen, wo auch Käse drin ist. Doch selbst wenn sich die Hersteller daran halten: In der Zutatenliste ist es schon deshalb oft nicht zu erkennen, weil das Imitat durchaus auch mit Käse gemischt sein kann. Dann taucht dort neben den Pflanzenfetten des Imitats eben auch der Käse auf. Doch wer kann aus dem Mengenverhältnis noch erkennen, ob auch Kunstkäse mit im Spiel ist?
Die Verbraucherschützer sprechen von Betrug, wie etwa Matthias Wolfschmidt von Foodwatch. Oder von "Nepp-Käse", wie Armin Valet von der Verbraucherschutzzentrale Hamburg. Die Verbraucherzentrale veröffentlicht denn auch eine Reihe von Produkten auf ihrer Homepage, in denen das Imitat das bestimmende Element ist.
Welsch appelliert derweil an die Marketingexperten, sich etwas einfallen zu lassen, um für das Kunstprodukt einen "positiven" Namen zu finden. Denn Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner lässt derzeit prüfen, wie der Verbraucher künftig Käse von Imitaten unterscheiden kann: "Wenn da nur Pizza-Belag statt Ersatzkäse draufsteht und die genaue Zusammensetzung erst aus dem Kleingedruckten hervorgeht, dann genügt mir das nicht", sagt Aigner zur Frankfurter Rundschau. Noch also ist der Kunde der Geleimte: Selbst im Supermarkt muss der Schnittkäse nicht immer echt sein, auch hier könnte ein Kunstprodukt vorliegen. Einer der führenden Hersteller der Ausgangsprodukte des Analog-Käses, das Unternehmen Jeneil-Bioproducts im bayerischen Schechen, nennt die Palette: "Pizza-Topping" nach Mozzarella-Art, "Käse" zum Braten und Grillen als Abwechslung zum Steak, Kashkaval, die Balkan-Spezialität, hier aber als Kunstprodukt, Weißkäse "Typ griechischer Feta" oder auch Streichkäse. All das gibt es in Kunstform.
Die Vorteile des Schummel-Käses für die Industrie liegen auf der Hand: Die Rohstoffkosten sind geringer: Nicht 2,20 Euro für das Kilo Edamer, sondern je nach Qualität 20 bis 30 Prozent weniger zahlen die Verarbeiter, manchmal nur 1,48 Euro, wie Foodwatch ermittelte. Auch der Maschinenpark ist preiswerter. Vor allem wird die Produktpalette größer - ob stark schmelzend oder nur gering, das lässt sich alles durch die Mischung der Zutaten beeinflussen. Und weil der Kunst-Käse höhere Temperaturen verträgt, ist die Pizza im Schnellimbiss in "Sekunden" fertig. Doch kann die gegen eine mit echtem Käse aus dem Holzofen bestehen? Wohl kaum.
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/aktuell/1774491_Verbraucherschutz-Kunst-Kaese-macht-Kuehen-Konkurrenz.html
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