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Pressespiegel:
"Der Kampf gegen Tierversuche ist heuchlerisch."

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"Der Kampf gegen Tierversuche ist heuchlerisch."

Autor: martin | Datum:
Weniger erstaunlich im folgenden Artikel ist der übliche Unsinn, wie er durch Tierschützer verbreitet wird: Schweitzer sei eine Vorbildfigur, die Regulierung der Tierausbeutung wie das Legebatterieverbot hätte die Situation der Tiere gebessert und der "Tieranwalt" sei eine in gleicher Hinsicht positive Institution.

Erstaunlich hingegen sind die Erkenntnisse, die die Tierschützer noch nicht mitbekommen haben: Ihr Aktionismus ist Heuchelei, ihr Ansatz der Gesetzesregulierung (Reformismus) ist nutzlos, ihr Denken ist anthropozentrisch. Auch von der Heuchelei der (oft als tierfreundlich interpretierten) Religion wurde erwähnt: "Mit der Erfindung der Religionen erlangten Tiere in vielen Kulturen den Status von Gottheiten. Dass man den Heiligen im Alltag mit Ehrfurcht begegnet wäre, ist nicht überliefert."

Die Lösung für die hier angesprochenen Probleme der alltäglichen Tierausbeutung und des millionenfachen Tiermords sind natürlich nicht, wie hier suggeriert wird, teurere Leichenteile zu kaufen oder vegetarisch zu werden, sondern einzig und allein die persönliche Umsetzung und die Forderung nach Veganismus und der Abschaffung aller Tierausbeutung, kurz: Abolitionismus.

Respekt!

Autor: martin | Datum:
Der Kampf gegen Tierversuche ist heuchlerisch. In unserem Alltag nehmen wir tausendfaches Leid in Kauf. Dagegen hilft kein strengeres Gesetz, sondern ein Bewusstseinswandel.



Einen Folterer hat man ihn genannt. Einen Verbrecher. Einen Perversen. Man hat ihm öffentlich gedroht, seinen kleinen Sohn zu entführen und als Versuchstier einzusetzen. Seine Familie steht regelmäßig unter Polizeischutz.

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Andreas Kreiter ist ordentlicher Professor in Bremen. Er führt Versuche mit Halbaffen durch. Was er tut, ist behördlich genehmigt. Kreiter betreibt Grundlagenforschung. Vielleicht, so hofft er, kann seine Arbeit einmal dazu beitragen, Epilepsie oder Demenz besser zu verstehen. Vielleicht. Bei Grundlagenforschung weiß man das nie so genau.

Für einige seiner Kritiker ist Kreiter schlicht das Böse. Der Streit um seine Versuche währt seit Jahren. Er verliert sich tief im Detail und ist doch sehr grundsätzlich: Ist es unbedenklich, Elektroden in ein Gehirn zu stechen, wenn dies keine Schmerzen verursacht? Ist es zumutbar, wenn die Affen nichts zu trinken bekommen, damit sie für ihre Mitarbeit nach Belohnung in Form von Apfelsaft dürsten? Oder ist das alles zu viel Qual für zu wenig Erkenntnis?

Der Streit steht exemplarisch dafür, wie in Deutschland über Tierschutz nachgedacht wird. Tierversuche werden erbittert bekämpft. Dabei finden sie unter streng kontrollierten Bedingungen statt. Manchmal scheint es, als würde dieser Krieg stellvertretend geführt – wegen unser aller Unbehagen im Umgang mit dem Tier.

Der Kasus Kreiter liefert die idealen Bilder: Affen, die mit großen Augen in die Kamera schauen. Steckt nicht ein gerüttelt Maß Mensch in ihnen? Er zeigt einen nicht allein mit Nützlichkeitserwägungen aufzulösenden Konflikt, den zwischen der Würde der Kreatur und der Suche nach Erkenntnis. Dürfen dafür Tiere leiden? Er beschwört große Fragen herauf. Nach der Heiligkeit von Zweck und Mitteln. Nach Personalität und Würde. Nach dem Trennenden zwischen Mensch und Tier.

Jahrzehntelang hat die Tierrechtsbewegung jene Unterscheidung infrage gestellt, die das Tier zum Gegenstand erklärte: käuflich, nutzbar, seelenlos. Argumente lieferte die Forschung, sie hat die Sonderstellung des Homo sapiens demontiert. Haben wir allein ein Bewusstsein? Weit gefehlt. Selbstlosigkeit, Mitgefühl und Hinterlist, Strategie und Sprache: Welches Merkmal man sich auch vornimmt, die Grenze verläuft niemals trennscharf zwischen Mensch und Tier. Also sind auch die Rechte von Tieren in ihrer Empfindsamkeit begründet, in der Art ihrer Wahrnehmung, in ihrer Intelligenz. Tiere zu schützen ist kein gnädiger Akt, sondern ein Gebot der Natur.

Bewusst machen wir uns das nur selten, wenn wir nämlich ausnahmsweise hinsehen. Vielleicht ist der Streit um die Bremer Affen auch deshalb so heftig, weil er in Wahrheit nicht zum Ziel führt, sondern ablenkt. Ablenkt vom Alltag. Tiere mögen Rechte haben, doch ihre Qual nehmen viele Menschen Tag für Tag gedankenlos in Kauf.

Eisbären in Gefangenschaft rufen nationales Entzücken hervor

Gegen Tierversuche wettern auch jene, die sich von den Stupsnasen ihrer Rassehunde entzücken lassen und dabei vergessen, dass die über Generationen herangezüchtete Kurzköpfigkeit den Tieren das Atmen schwer macht, dass sie eine Qualzüchtung Gassi führen. Ob Freunde des Pferdesports wissen wollen, wie grausam manche Springer und Galopper trainiert werden? Fragen sich Zoobesucher, wie artgerecht die Exoten direkt vor ihren Augen leben?

Affen im Labor rufen unsere Abscheu hervor. Zoo-Eisbären wie Knut (Berlin), Flocke (Nürnberg) oder Wilbär (Stuttgart) sorgen hingegen für nationales Entzücken – solange sie unserem zutiefst menschlichen Kindchenschema entsprechen. Gegen diese Gefühlsduselei sind Kritiker chancenlos, wenn sie mahnen, dass in Gefangenschaft verhätschelten Raubtieren schwere Verhaltensstörungen drohen.

Auch gegen niedliche Möpse haben wir nichts einzuwenden. Vor vermutlich 14.000 Jahren hat der Mensch den Wolf domestiziert, den Hund aus ihm gezüchtet. Seither ist er Jagdwerkzeug, Nahrungsquelle, Wächter, Spielzeug für das Kind – und immer mehr bloße Zierde. Resultate dieser Entwicklung sind pittoreske Kreaturen, die kaum gehen, gucken und atmen können. Motorische und geistige Krüppel sind in den Straßen zu bewundern: fettsüchtige Sabberpumpen, beißwütige Terrier oder unterzuckerte, herzkranke Mini-Chihuahuas mit deformierten Köpfen.

Der wegen hängender Ohren und trauriger Augen von Kindern besonders geliebte Basset neigt als genetischer Krüppel nicht nur zu Zwergwuchs, Scheinschwangerschaft, Harnsteinbildung und Arthrose. Häufig leidet er auch an grünem Star, Bindehautentzündung und Leistenbruch. Im Winter bescheren ihm die Stummelbeine Hodensack- und Vorhauterfrierungen. Manchem Shar Pei im faltigen Pelz, manchem Cavalier King Charles Spaniel (das Hirn eingepfercht im zu engen Schädel) mag man da wünschen: Wärst du doch Wolf geblieben!

Der vermeintliche Hundefreund nimmt am Leid seines Schützlings genauso selten Anstoß wie der durchschnittliche Fleischesser am Schicksal seines Eiweißlieferanten. Die meisten greifen am liebsten nach Schnitzeln zu Schleuderpreisen. Durchschnittlich 88,4 Kilogramm Fleisch verbraucht jeder Bundesbürger im Jahr. Nicht alles davon essen die Deutschen selbst, einiges verfüttern sie gleich weiter. 2,6 Milliarden Euro geben sie jährlich für Tierfutter aus, das meiste davon, um ihre 5,5 Millionen Hunde und 8,2 Millionen Katzen satt zu kriegen.

Wir lieben und essen sie, unsere Tiere. Dass das in ihrem Alltag viel Grausamkeit bedeuten kann, wird uns erst bewusst, wenn wir wieder einmal mit Bildern eines Tierhaltungs- oder Schlachtskandals konfrontiert werden.

Wie vergangene Woche in den Tagesthemen. Ein deutscher Schlachthof. Bis zu 600 Schweine pro Stunde verschlingt die Produktionsstraße, die Tiere säuberlich zu Ware zerlegt. An ihrem Anfang sticht ein Mann jeder Sau mit einem Hohlmesser ins Herz oder in die Hauptschlagader. Nur wenige Sekunden hat der »Stecher« dafür – und das reicht oft nicht aus, um gründlich genug zu töten. Dann können die betäubten Tiere noch einmal im Siedebad erwachen, wo ihnen Haut und Borsten abgebrüht werden. Eine Qual. An den Gesetzen mangelt es nicht. »Wir haben im Prinzip ausreichende Vorschriften«, sagt Klaus Troeger vom Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, der den Tod im Siedebad öffentlich gemacht hat. Die deutsche Schlachtverordnung gehe sogar über geltendes EU-Recht hinaus. Es fehle, klagt Troeger, schlicht an Kontrollen.

Und ganz offenbar am Bewusstsein des Konsumenten. Welches Schicksal sich unter der Schutzfolie der Wurstverpackung verbirgt, unter welchen Bedingungen ein Tier gehalten, transportiert oder geschlachtet worden ist, erkennt der Kunde nicht. Er sieht vor allem auf den Preis. Industrielle Produktion ist nicht per se schlecht. Aber in Verbindung mit krimineller Energie begünstigt die anonyme Massentierhaltung das Leiden in großem Maßstab.

Und gegen die Discounterpreise kann kein Metzger bestehen, der seinem Kunden noch gern berichtet, von welchen Höfen in der Umgebung seine Würste und Schnitzel stammen. Bio-Erzeugnisse – die meist für bessere Haltung stehen – bilden bisher nur eine kleine Marktnische. »Es gibt im Lebensmittelmarkt keinen Qualitätswettbewerb, weil die Transparenz fehlt«, sagt Martin Rücker, Sprecher der Verbraucherorganisation Foodwatch. »Es gibt nur einen Preiswettbewerb.«

Den Nutzen möglichst billig, Schutz nicht um jeden Preis – dieser bigotte Umgang mit dem Tier ist nicht neu. Mit der Erfindung der Religionen erlangten Tiere in vielen Kulturen den Status von Gottheiten. Dass man den Heiligen im Alltag mit Ehrfurcht begegnet wäre, ist nicht überliefert. Erst im römischen Recht wurden Tiere vom juristischen Nichts zum Gegenstand des Rechtsverkehrs – wie übrigens auch die Sklaven. Paragrafen, die das Quälen der Sache Tier verboten hätten, kannte Rom aber nicht. Humanismus, Aufklärung und Pietismus führten erst im 19. Jahrhundert zum ethisch begründeten Tierschutz. Der Elsässer Arzt und Theologe Albert Schweitzer predigte die Ehrfurcht vor dem Mitgeschöpf: »Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.«

Der 1822 in England verabschiedete Martin’s Act gilt als erster Erlass der Welt, der Tiere um ihrer selbst willen schützt. Vorreiter in Deutschland war 1838 das Königreich Sachsen. Es stellte in Artikel 310 des Kriminalgesetzbuchs Tierquälerei unter Strafe. Württemberg, Hessen-Darmstadt, Schwarzburg-Sonderhausen, Bremen und Bayern folgten. Im 20. Jahrhundert entwickelten die meisten europäischen Länder nationale Tierschutzgesetze. Europarat und Europäische Union erließen staatenübergreifende Regelungen. Um die Novellierung der EU-Tierversuchsrichtlinie wird gegenwärtig heftig gerungen. Die letzte gründliche Überarbeitung des deutschen Tierschutzgesetzes datiert von 1998. Vier Jahre später wurde der Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz geschrieben. Damit ist er jetzt juristisch ein »überragend wichtiges Gemeinschaftsgut«.

Während der Mensch seinen Mitgeschöpfen endlich zugestand, keine bloßen Gegenstände zu sein, liefen immer weniger davon durch sein Blickfeld. In den fünfziger Jahren hatten viele Deutsche noch täglichen Kontakt zu Nutztieren. Eigene Hühner- oder Kaninchenställe, gar Hausschweine waren keine Seltenheit, auch in den Arbeitersiedlungen der Städte nicht. Fleisch machte noch Geräusche, hatte Augen und Fell oder Federn.

Allein in Deutschland leben heute rund 27 Millionen Schweine, knapp 50 Millionen Hennen und Küken, dazu Millionen Schlachtrinder – für den Konsumenten praktisch unsichtbar. Und die meisten Nutztiere leben nicht allzu lange. Die Mastzeit eines Hähnchens beträgt sechs bis acht Wochen, die eines Kalbs drei Monate. Ein Schwein ist oft gerade mal ein halbes Jahr alt, wenn es zur Schlachtbank geführt wird. Zucht, Mast, Schlachtung – sie sind im industriellen Maßstab organisiert und konzentriert. Und zwar weltweit.

Wer wissen will, wie sich die Lebens- und Todesumstände der Nutztiere entwickeln werden, muss in die Schwellen- und Entwicklungsländer schauen. Die Menschen dort essen heute fünf Mal so viele Eier und drei Mal so viel Fleisch wie vor fünfzig Jahren. Kein Land legt in der Tiernutzung rasanter zu als China. Heute ist es der größte Schweineproduzent der Welt – und muss dennoch Fleisch importieren.

Bevölkerungswachstum und Verstädterung werden die Industrialisierung der Fleischproduktion weiter vorantreiben. Mit allen Schrecken, die in Europa mühsam verdrängt worden sind: in Drahtbatterien gesperrte Hühner; Schweine mit von Gitterböden deformierten Füßen; Dauerstress durch Lärm, Schmutz und Enge, wenn in Hallen Zehntausende, gar Hunderttausende Tiere untergebracht sind. Die Maßstäbe im Tierschutz drohen global weiter auseinanderzuklaffen. Zwar bestimmten Standards bei der Haltung, beim Transport und bei der Schlachtung von Tieren in reichen Staaten zunehmend über den Zugang zu Märkten, schreiben die Autoren des jüngsten FAO-Agrarberichts. Aber: »In einigen Entwicklungsländern wächst die Sorge, dass Tierschutz zu einer weiteren Hürde für sie werden könnte.«

»Nichts wird die Chance auf ein Überleben auf der Erde so steigern wie der Schritt zur vegetarischen Ernährung«, wird Albert Einstein zitiert – eine Hypothese, die sicher nicht dem experimentellen Test unterzogen werden wird, ganz offenbar ist die Fleischeslust zu groß.

Als möglicher Ausweg gilt Fleisch, das ohne Tier heranwächst, im Laborgefäß: Muskelzellen, die in Nährflüssigkeit, stimuliert von Stromstößen und Roboterbewegungen, zum Retortensteak erwachsen. Mark Post, Physiologe an der Universität Maastricht, arbeitet an dieser Zukunft. »Wahrscheinlich wird es zunächst Fleischprodukte wie Würstchen oder Hamburger geben«, sagt er über das künftige Kunstfleisch. »Das Ziel ist aber, es so aussehen, schmecken und sich anfühlen zu lassen wie echtes Schwein oder Rind.« Vielleicht, irgendwann. Wann genau? »Fünf Jahre sind sicher nicht realistisch«, sagt Post, »Fortschritt und Umfang der gegenwärtigen Forschung sind dafür zu gering.«

Das könnte sich ändern, wenn sich ein Trend auf den Lebensmittelsektor überträgt, der den Alltag im Forschungslabor prägt. Wissenschaftler suchen dort längst nach Alternativen. 3R lautet die Formel. Sie steht für replacement, reduction, refinement – Tierversuche werden ersetzt, in ihrer Zahl reduziert oder wenigstens tiergerechter gestaltet.

So dürfen von 2013 an nur Kosmetikprodukte auf dem europäischen Markt angeboten werden, für die keine Experimente an Tieren durchgeführt wurden. Medikamente werden an Zellkulturen getestet, Umweltverträglichkeitsprüfungen an Fischeiern statt an Fischen vorgenommen, Biologiestudenten am Computermodell statt am Tier ausgebildet.

Transparenz und Kontrolle sind die wichtigsten Forderungen an den Tierschutz. Nicht neue Gesetze sind notwendig, sondern Bewusstseinswandel. In der Schweiz treibt der Jurist Antoine Goetschel diesen Wandel voran, der weltweit einzige »Tieranwalt«. Er kämpft auch für jene, die ohne öffentliche Kontrolle schutzlos ihren Besitzern ausgeliefert sind, die Heimtiere. Mit Erfolg zog er gegen eine Frau vor Gericht, die unter erbärmlichen Bedingungen 149 Katzen in ihrer Wohnung gehalten hatte. Es ist sein Verdienst, dass der Schweizer Nationalzirkus die Delfinabteilung seines Kinderzoos in Rapperswil schloss. Vielen würden wohl weitere Fälle für Goetschel einfallen.

Ungesühnt aber bleibt millionenfaches Leid, das sich jenseits unserer Wahrnehmung abspielt – und das für den überwältigenden Teil der Qualen steht, die Menschen Tieren zufügen. Über die Affenversuche von Andreas Kreiter wird bald ein Gericht befinden. Auf die Anklagebank gehören andere, doch die sind nur schwer dingfest zu machen. Sie quälen ihre Tiere hinter zugezogenen Wohnzimmergardinen. Oder sie greifen zum billigsten Schnitzel, zahlen und gehen.

Mitarbeit: Stefan Schmitt und Urs Willmann

http://www.zeit.de/2010/15/Affen-Tierschutz?page=all

Der Publizist Richard David Precht über Tierversuche

Autor: martin | Datum:
An Affen dürfen wir nur Experimente durchführen, die wir auch mit Menschen machen würden. Ein philosophischer Einwurf

In meiner Schulzeit standen sie sich spöttisch gegenüber: die Physik-, Chemie- und Biologielehrer auf der einen Seite und die Kollegen aus den sogenannten Geisteswissenschaften auf der anderen. Vielleicht, weil die Naturwissenschaftler ahnten, dass man den Geist eines Tages in seine materiellen Bestandteile zerlegen und ordentlich verpackt ihnen überstellen würde. Von Nüchternheit beseelt, spotteten sie über die Blumenwiese aus Orchideen- und Laberfächern. Gemeint waren Fächer wie Deutsch, Geschichte und Sozialkunde, die Übungsplätze unserer Kultur, unserer Werte und Leitvorstellungen.

Historisch gesehen waren meine Lehrer die Erben zwei verschiedener Traditionen: des Szientismus der modernen Naturwissenschaften und des christlich-abendländischen Humanismus. Und da sie in der gesellschaftlichen Wirklichkeit außerhalb von Lehrerzimmern nur selten aufeinandertreffen, gibt es sie bis heute.

Umso heftiger ertönt das Geschrei, wenn sich eine Konfrontation nicht vermeiden lässt. Wie in Bremen. Dort forscht der Neurobiologe Andreas Kreiter mit Makaken. Er pflanzt ihnen Elektroden ins Gehirn. Ein ganz normaler Vorgang, nicht nur für Kreiter, sondern auch für die Bremer Universität, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Das Tierschutzgesetz verbietet solche Affenversuche nicht. Es verliert ohnehin kein Wort über Affen. Aus Sicht des Gesetzgebers ist der Graben zwischen Schimpanse und Mensch tiefer als der zwischen Schimpanse und Huhn. Für Menschen gibt es bürgerliche Rechte und Pflichten, für die anderen nur ein Schutzgesetz.

Biologisch begründet ist das nicht. Genetisch stehen sich Menschen und Affen sehr viel näher als Affen und Hühner. Die strenge moralische Trennung zwischen Affen und Menschen stammt aus einer unwissenschaftlichen Zeit. Aus der Theologie des Thomas von Aquin zum Beispiel, der beide nach einem sicheren Kriterium voneinander schied: nach der Sterblichkeit und der Unsterblichkeit ihrer Seelen. Noch vor hundert Jahren galten unsere haarigen Verwandten als läppisch, frech, geil, minderwertig und brutal. Bis die Naturwissenschaft sich der Sache annahm. Man untersuchte Intelligenz, Verhalten und Psyche. Im Jahr 1921 schrieb der Berliner Psychologe Wolfgang Köhler auf der Anthropoidenstation in Teneriffa eine erste Psychologie des Schimpansen.

Verhaltensforscher, Genetiker und Neurobiologen zeigen heute ein beeindruckend komplexes Bild der nichtmenschlichen Primaten. Affen sind faszinierend soziale Wesen. Sie kennen Hilfsbereitschaft, Fürsorge und Gemeinschaftsgeist. Ihre Psyche ist sensibel und kompliziert. Sie empfinden Zuneigung, Trauer und psychischen Schmerz.

Affen biologisch ernst zu nehmen bedeutet, sie nicht schlicht als Tiere zu sehen, sondern als psychisch sensible Verwandte. Umso erstaunlicher mutet es an, dass Gerhard Heldmaier, der Vorsitzende der Senatskommission für tierexperimentelle Forschung bei der DFG, keine ethischen Bedenken bei den Bremer Versuchen sieht. Heldmaier ist Tierphysiologe, kein Tierpsychologe. Er verweist auf die 2,7 Millionen anderen Versuchstiere, die in deutschen Labors benutzt und getötet werden.

Die Logik dahinter ist schlicht: Weil wir mit Mäusen experimentieren, dürfen wir das auch mit Affen. Das Gegenargument ist leicht zu benennen: Wir dürfen es nicht, weil Affen eben keine Rinder oder Hühner sind, selbst wenn der Begriff »Tiere« sie unsauber zusammenbindet. Man müsste sich des Ernstes halber einmal vorstellen, dass Kenner der Affenpsychologie wie Jane Goodall oder Frans de Waal in der Kommission der DFG säßen. Was würden sie von den Experimenten halten?

Das wichtigste Argument, das Kreiter gegen seine Kritiker kennt, ist: Das Einpflanzen der Elektroden tut den Tieren nicht weh. Worin also soll das Verwerfliche bestehen? Nun, vielleicht darin, dass »die messbare Seite der Welt nicht die Welt ist. Sie ist die messbare Seite der Welt«, wie der Frankfurter Philosoph Martin Seel schreibt. Wo bleiben die psychischen Schädigungen der Tiere? Schäden durch die Käfighaltung, durch Angst und Traumatisierung? Ein Hirnforscher, der den mutmaßlichen Schaden seiner Affen nur am physiologischen Schmerzempfinden misst, geht auf verblüffende Weise unter sein Niveau.

Erklären kann man dies nur moralpsychologisch: durch ein Denken, das zwei Dinge so im Gehirn speichert, dass sie dort nicht zusammentreffen. Die Erkenntnisse der Wissenschaft über die Psyche von Affen einerseits und ihre »Benutzung« für die eigenen Experimente andererseits.

Für Frans de Waal gibt es für Versuche an unseren nächsten Verwandten nur ein Kriterium: »Die Art von Untersuchungen, die wir auch an menschlichen Freiwilligen vornehmen würden.« Immerhin gibt es in Deutschland seit 1991 keine invasiven Experimente mit Menschenaffen mehr. Das szientistische und das humanistische Weltbild haben sich hier erfreulicherweise vereint. Und auch die Lösung der Bremer Probleme dämmert schon am Horizont. Sie wird durch neue Generationen von Kernspintomografen und durch Computersimulationen kommen, die Kreiters Grundlagenforschung ersetzen werden. Es ist nur eine Frage der Zeit. Die Forschungen, die heute noch als »Zukunft« gerechtfertigt werden, sind schon bald Geschichte.

http://www.zeit.de/2010/15/Affen-Tierversuche?page=all


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KOMMENTAR

11.04.2010 um 9:04 Uhr
gerthans

1. Menschenbild und Tierbild

"Von Nüchternheit beseelt, spotteten sie über die Blumenwiese aus Orchideen- und Laberfächern" - besser kann man den Dünkel der Szientisten nicht formulieren. Gratulation!

Mit dem Grundtenor des Artikels bin ich einverstanden, würde aber, was die Herleitung, die Wurzeln der beiden antagonistischen Haltungen betrifft, zum Teil andere Akzente setzen. Sie sprechen, Herr Precht, vom "christlich-abendländischen Humanismus" - aber ist ein Begriff, der "christlich" und "humanistisch" vereint, nicht eine contradictio in adiecto, gerade in Hinblick auf das Thema Ihres Artikels, den Tierschutz? Humanismus beruht auf dem Bildungsgut der Antike, wo nicht nur die höheren Tiere hoch geehrt waren: Wer einen Baum fällte oder eine Schlange tötete, versündigte sich und musste den Zorn der Götter beschwichtigen. Tiere als Gebrauchsgegenstände zu behandeln, das ist christlich: Macht euch die Erde untertan!

"Kein Mitgefühl für leidende Menschen"

Autor: martin | Datum:
Versuche an Affen sind ethisch nicht vertretbar sagt Grünenpolitikerin Renate Künast. Dagegen sieht der Bremer Neurobiologe Andreas Kreiter in der Diskussion eine Doppelmoral.
VON PAUL WRUSCH

BERLIN taz | Renate Künast, Vorsitzende der Grünen im Bundestag, fordert ein generelles Verbot von Experiemente an Primaten. "Vager Erkenntnisgewinn rechtfertigt nicht das Leid von Tieren", schreibt sie im Streit der Woche in der sonntaz. Affen seien hoch entwickelte, intelligente Tiere, die in ihrem Sozialverhalten und ihren emotionalen Bedürfnissen den Menschen sehr ähnlich sind.

Künast verurteilt in der sonntaz konkret die Affenversuche des Bremer Neurobiologen Andreas Kreiter. Diese seien "ethisch nicht vertretbar" und "ohne konkreten wissenschaftlichen Nutzen".

Kreiter experimentiert seit über zehn Jahren mit Makakenaffen. Seine Grundlagenforschung soll später etwa Epileptikern oder Parkinsonpatienten helfen. Für die Versuche werden die Affen mit im Kopf verankerten Bolzen fixiert, es werden Messelektroden ins Gehirn eingeführt, während sie Aufgaben am Computer lösen müssen.

"Versuche mit Makaken spielen eine zentrale, nicht ersetzbare Rolle für die Erforschung der Funktionsweise des Gehirns", schreibt Kreiter in der sonntaz. Man müsse sich fragen, ob ein generelles Verbot solcher Versuche ethisch zu rechtfertigen sei, "weil damit die Möglichkeit verwehrt wird, Erkrankungen des Gehirns zu heilen".

Zudem akzeptiere unsere Gesellschaft hunderttausendfach mehr Tiere für belastendere aber verzichtbare Verwendung in Sport, Freizeitvergnügen, Nahrungsmittelprodzuktion und Schädlingsbekämpfung. Kreiter spricht in diesem Zusammenhang von einer Doppelmoral.

Margot von Renesse, Vizevorsitzender der Deutschen Parkinsonvereinigung und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, ist der Meinung, dass Tierversuche prinzipiell möglich sein sollten. Wenn sie erforderlich seien, "um Heilungsmöglichkeiten für schwere Erkrankungen zu verbessern und Erkenntnisse in der Grundlagenforschung zu gewinnen, müssen Tierversuche möglich sein", schreibt sie in der sonntaz. Leider empfinde nicht jeder Tierschützer Mitgefühl für leidende Menschen.

Wolfgang Apel, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, kritisiert Tierversuche an Affen. "Wir müssen andere Wege finden, an wissenschaftliche Erkenntnisse zu gelangen", schreibt er in der sonntaz. Für die Erforschung des menschlichen Gehirns stünden andere Methoden zur Verfügung, bei denen keine Affen gequält werden müssen. "Die Vermehrung von Wissen ist ein menschliches Kulturgut. Doch die Freiheit der Forschung endet dort, wo andere wichtige Güter verletzt werden. Ein solches Gut ist der im Grundgesetz verankerte Tierschutz."

Im Streit der Woche äußern sich zudem Matthias Kleiner, Präsident der Deutschen Forschungsgesellschaft, Norbert van Kampen, Vorsitzender der Deutschen Epilepsievereinigung, die Travestiekünstlerin Olivia Jones und Silke Bitz vom Verein Ärzte gegen Tierversuche.

http://taz.de/1/debatte/sonntazstreit/artikel/1/%5Ckein-mitgefuehl-fuer-leidende-menschen%5C/

Die Welt ist nicht nett

Autor: martin | Datum:
Von Christian Weber
Im Streit um die Bremer Affenversuche zeigt sich ein romantisches Missverständnis der Natur: Der Mensch kann nicht ohne Schuld leben.

Kleine Quizfrage: Wer steckt hinter dem Verein Neuland, der am 25. April dieses Jahres unter dem Motto "Sommer, Sonne und Bratwurst" in Berlin die 8. Bratwurstmeisterschaft abhielt, auf dass Fleischer um den Titel des Schöpfers der kreativsten Bratwurst konkurrieren? Richtig: Einer der drei Trägervereine ist der Deutsche Tierschutzbund (DTB). Im Vorstand von Neuland sitzt Wolfgang Apel, Präsident des DTB.

Nächste Frage: Wer rief anlässlich des Internationalen Tags des Versuchstieres am 24. April dieses Jahres mal wieder zum Ende aller Versuche auf? Richtig: Tierschutzpräsident Wolfgang Apel, im Nebenberuf Vorstand der Fleischvermarktungsorganisation Neuland.

Eine freundliche Bezeichnung für eine solche Haltung ist: weltanschauliche Flexibilität.

Nichts gegen den Verein Neuland, der allem Vernehmen nach mit Erfolg versucht, eine artgerechte Tierproduktion zu fördern. Die Unverfrorenheit liegt in der Annahme, man könne ohne logischen Systemabsturz gleichzeitig Würstchen grillen und gegen Tierversuche protestieren. Dabei handelt es sich nicht nur um eine verschrobene Einzelmeinung, sondern die offizielle Position einer Organisation mit 800.000 Mitgliedern.

Der Prozess um die Affenversuche des Bremer Hirnforschers Andreas Kreiter ist deshalb ein Anlass, um diese weit verbreitete Haltung zu diskutieren. Seit gestern nämlich verhandelt das Bremer Verwaltungsgericht darüber, ob die Gesundheitsbehörde dem Forscher verbieten darf, weiterhin an den Gehirnen von Makaken zu experimentieren. Es wird ein Urteil von bundesweiter Bedeutung werden, weil hier die Grenzen der Forschungsfreiheit definiert werden. Kein Wunder, dass Tierrechtler derzeit wieder ihre Kampagnen intensivieren.

Gerne werden dann die Zahlen zitiert: So wurden in den Laboren Deutschlands im Jahr 2008 knapp 2,7 Millionen Tiere in Versuchen eingesetzt, darunter 2,3 Millionen Mäuse, Ratten und andere Nagetiere. Größere Tiere wie Schweine (13102), Rinder (6288), Schafe (4810), Pferde und ihre Verwandten (598), Hunde (445), Katzen (803) oder Affen (2285) sind relativ selten vertreten.

Starke Belastungen sind eher selten

Im Standardversuch werden Mäusen Substanzen injiziert. Dann nimmt man ihnen Blut oder Harn ab, am Ende werden sie eingeschläfert und seziert - große Schmerzen entstehen dabei nicht. Eher selten kommt es zu starken Belastungen, dann etwa, wenn die Versuchsziele den Einsatz von Schmerzmitteln verbieten oder die Tiere als chronisches Krankheitsmodell dienen. Allerdings erlaubt das Tierschutzgesetz solche Versuche nur, wenn mit ihnen wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Sie müssen so wie alle Versuche den Behörden gemeldet und von ihnen genehmigt werden.

Aufschlussreich zur Einordnung des Themas ist aber vor allem der Vergleich mit der Fleischproduktion: "Rekordproduktion!" jubelt das Statistische Bundesamt in seiner Frühjahrsmeldung zum Thema. Rund 60 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde wurden demnach im vergangenen Jahr in Deutschland geschlachtet. Beim Geflügel meldet das Amt nur das Gewicht des erzeugten Fleisches: Hühner, Enten und Truthühner brachten 7,7 Millionen Tonnen auf die Waage. Anders als bei Tierversuchen prüft hier niemand, ob die Tötung eines Tieres zu rechtfertigen ist: Guter Appetit ist immer Grund genug.

Zu Tode gebrüht - bei vollen Sinnen

Dabei geht es in der Viehproduktion meist gewalttätiger zu als im Labor, wo wann immer möglich sorgfältig sediert wird - allein schon deshalb, weil gestresste Tiere keine guten Daten liefern. So werden in Deutschland zum Beispiel jedes Jahr 20 Millionen männlichen Ferkeln ohne Betäubung die Hoden abgeschnitten, damit ihr Fleisch später nicht den urinähnlichen Ebergeruch annimmt.

Im Schlachthof werden die Schweine zuerst betäubt, danach haben die Metzger an den Schlachtstraßen häufig nur zwei Sekunden Zeit pro Tier, um ihnen die Schlagadern zu durchtrennen. Wie eine im März veröffentlichte Studie des Max- Rubner-Instituts für Sicherheit und Qualität bei Fleisch in Kulmbach ergab, verfehlen die Schlachter in ein Prozent der Fälle die entscheidenden Blutgefäße oder übersehen einzelne Exemplare.

Alternativmethoden gibt es in vielen Fällen nicht

Die Tiere werden wieder wach und dann bei vollen Sinnen im folgenden kochenden Wasserbad zu Tode gebrüht. Ein Prozent der Fälle, das heißt: weit mehr als 500.000 Tiere.

Da ist es vermutlich immer noch besser, wenn Tiere vom Jäger überraschend getötet werden. Übrigens: In den Wäldern wurden im Jagdjahr 2008/2009 rund fünf Millionen Wildtiere erschossen. Als Fleischesser und Träger von Lederschuhen sollte man schon gute Gründe haben, wieso Schnitzel ethisch korrekt sei, der Tierversuch aber nicht.

Der schwächste Grund ist die Annahme, die Ergebnisse der Versuche ließen sich nicht auf Menschen übertragen. In jeder Uni-Bibliothek lässt sich nachlesen, dass ein Großteil des medizinischen Fortschritts auf Tierversuchen basiert: Impfstoffe und Antibiotika, Schmerzmittel und Anästhetika, Strahlentherapie, Bluttransfusion und Organtransplantation, Herzoperationen und Nierendialyse - all diese Therapien wurden an Tieren entwickelt.

Irrig ist auch die Annahme, dass Alternativmethoden mit Zellkulturen oder Computer-Simulationen die Tiere problemlos ersetzen könnten. Am ehesten vorstellbar ist das noch bei Standardtests etwa auf Schleimhautverträglichkeit. Schwierig ist es, wenn nach unbekannten Effekten in Gesamtorganismen gesucht wird. Unmöglich ist es, wenn Neurowissenschaftler höhere kognitive Leistungen erforschen wollen.

Natürlich ist nicht jeder Tierversuch notwendig: Einige Mäuse sterben für medizinische Doktorarbeiten, die die Welt nicht braucht. Pharmafirmen entwickeln auch überflüssige Medikamente. Mancher Professor hängt aus Gewohnheit an einem Tiermodell, das sich ersetzen ließe.

Besser zu rechtfertigen als Fleischverzehr

Womöglich wird die Einführung von Alternativmethoden tatsächlich nicht mit dem gebotenen Einsatz vorangetrieben. Man darf darüber streiten, welche Belastung welche Tierart ertragen muss. Aber das sind keine prinzipiellen Einwände. Vom Umfang und Zweck her sind Laborversuche eine Tiernutzung, die sich besser rechtfertigen lässt als die meisten anderen. Auf Fleisch kann jeder leichter verzichten als auf vielleicht lebensrettende Therapien.

Die interessante Frage ist, warum dennoch so viele Menschen gegen Tierversuche eingestellt sind? Eine Antwort könnte sein, dass sie Schuldgefühle kompensieren wollen. Sie ahnen, dass ihr Steak nicht in zellophanverpackten Styroporschälchen in Supermarktregalen erzeugt wird. So prügeln sie halt auf eine Branche ein, deren Ergebnisse sie vermeintlich nicht brauchen: die Wissenschaft.

Die einzig ehrenwerte und einigermaßen logische vertretbare Haltung als Tierversuchsgegner wäre, zumindest auf alle Fleischprodukte und einen Großteil der medizinischen Therapien zu verzichten. Doch selbst dann bleibt der Mensch in einem ethischen Dilemma gefangen: dass er nämlich Tiere umbringt, einfach weil er da ist und lebt.

Selbst ein Vegetarier muss es verantworten, dass nach Schätzung der Deutschen Wildtierstiftung Mähmaschinen jedes Jahr 500.000 Tiere zerstückeln, darunter 90.000 Rehkitze. Als Autofahrer trägt er nach einer Hochrechnung des Deutschen Jagdschutzverbandes dazu bei, dass jedes Jahr eine Million Rehe, Wildschweine, Hasen und Füchse auf den Straßen sterben.

Als Bürger profitiert er von der Ungezieferbekämpfung, die beständig versucht, die Zahl der 300 Millionen Ratten in Deutschland mit möglichst gemeinen Giften zu reduzieren. Als Tierhalter verantwortet er, dass Hunde und Katzen jedes Jahr etwa 20.000 Tonnen Futtermittel fressen, das vor allem aus Fleischabfällen besteht.

Nicht mal die Natur wäre richtig schön

Wer keine Schuld auf sich laden will, müsste sein Gemüse selber anbauen und nur noch mit Kondomen verhüten, denn die Pille wurde im Tierversuch entwickelt. Womöglich würde er wegen seines Verzichts auf Medikamente früher sterben, vielleicht an der Beulenpest, die sich nach dem Verzicht auf Rattenbekämpfung wieder ausgebreitet hat. Noch nicht mal die Natur wäre richtig schön, denn die von der Jagd befreiten Rehe würden ziemlich am Wald nagen.

Wer keine Schuld auf sich laden will ...

Man kann es tragisch finden, aber es ist wohl so, dass menschliche Lebensart prinzipiell den Tieren schadet. Wer glaubt, dass alle Wesen auf diesem Planeten in friedlicher Eintracht miteinander leben könnten, romantisiert die Natur. Das heißt nicht, das alles erlaubt sein muss. So sind Tierversuche für die Entwicklung von Kosmetika in Deutschland seit 1998 verboten. An Menschenaffen wird seit 1991 nicht mehr geforscht.

In Bremen steht nun die Entscheidung darüber an, ob Andreas Kreiter Grenzen überschreitet. Auch hier ist eine rationale Diskussion nur schwer möglich, weil allein schon die Versuchsbeschreibung Grusel-Phantasien bedient: Die Makaken sitzen bis zu vier Stunden mit fixiertem Kopf im Primatenstuhl und blicken auf einen Monitor, während implantierte Elektroden die Reaktionen einzelner Nervenzellen auf visuelle Stimuli messen. Wenn sie auf die richtige Taste drücken, werden sie mit Saft belohnt. So wollen die Forscher unter anderem herausfinden, wie die Neuronen untereinander kommunizieren, wenn sie die Welt abbilden - ein zentrales Thema der Neurowissenschaft.

Eingriffe unter Vollnarkose

Andererseits: Die Zugänge zum Gehirn werden den Tieren unter Vollnarkose gelegt, die Elektroden spürt das Tier nicht, weil das Gehirn aus schmerzfreier Materie besteht. Sie sind so dünn, dass es nicht zu Ausfallerscheinungen kommt. Die Tiere arbeiten freiwillig bei dem Experiment mit, andernfalls - so versichern Forscher - wäre es nicht durchzuführen. Zwar bekommen die Tiere am Versuchstag nur wenig zu trinken, sodass sie durstig nach Belohnung lechzen. Eine Qual ist das aber nicht.

Das eigentliche ethische Problem ist daher weniger die Art dieses Experiments als die Frage, ob entwicklungsgeschichtlich hochstehende Tiere wie Primaten überhaupt für die Wissenschaft eingesetzt werden dürfen. Dagegen steht der Zweck: Auch wenn solche Grundlagenforschung natürlich nicht sofort medizinische Anwendungen produziert, steht doch fest, dass ein besseres Verständnis des Gehirns die Voraussetzung ist für neue Therapien verbreiteter neurologischer Erkrankungen wie Schizophrenie oder Demenz. Mutig, wer hier ein schnelles Urteil fällen kann.

Deshalb zum Schluss nur eine Anekdote: 1966 brach in einer Schimpansenkolonie im ostafrikanischen Gombe eine Polioepidemie aus. Die Primatenforscherin Jane Goodall - eine entschiedene Tierversuchsgegnerin - ließ daraufhin einen ursprünglich für Menschen entwickelten Impfstoff einfliegen und verfütterte ihn mit Bananen an die Affen. Die Aktion hatte Erfolg. Für die Erforschung der Kinderlähmung und die Entwicklung dieses Impfstoffes wurden, so berichtet sein Entdecker Albert Sabin, 9000 Affen und mehr als 100 Schimpansen eingesetzt.

http://www.sueddeutsche.de/wissen/tierversuche-die-welt-ist-nicht-nett-1.951477