Kreis Steinburg (ots) - Tierhilfe, Umweltschutz, Kreditkartenschutz, Hilfe für in Not geratene Kinder oder Jugendliche: Es gibt viele Gründe mitzuhelfen, dass die Welt ein klein wenig besser wird. Manche bringen sich praktisch ein, andere geben Geld. In manchen Fällen an nicht ganz uneigennützig handelnde Personen oder Personengruppen, wie die Polizei weiß. "Unseriöse Organisationen haben die Mildtätigkeit für sich entdeckt und machen hohen Gewinn, den sie zu einem Großteil in die eigene Tasche stecken. Nur ein geringer Prozentsatz dient dem Sammlungszweck", sagt Polizeihauptkommissar Jochim Böttger. Aus seiner praktischen Arbeit weiß der Leiter der Präventionsstelle bei der Polizeidirektion Itzehoe, dass die Täter "unter dem Deckmantel von Vereinen beziehungsweise Organisationen gefühlsbesetzte Bereiche wie Kinder- und Tierschutz als Zielthemen bewerben". Dabei appellieren die Täter, die zum Teil auch von im Bundesgebeit agierenden Drückerkolonnen und Callcentern aus dem Ausland unterstützt werden, nicht selten an das Mitgefühl. "In erster Linie geht es ihnen aber darum, Mitglieder für ihren Verein anzuwerben und damit einhergehend an die Bankdaten zu kommen", sagt Joachim Böttger. Was dann folge, sei in mehren Strafverfahren bereits nachgewiesen worden: "Sobald die Täter die Daten haben, buchen sie überhöhte oder mehrfach dieselben Mitgliedsbeiträge von ein und demselben Konto ab." Nicht immer würden es die Betrogenen merken. Und wer es dennoch registriert und sich beschwert, der bekomme die zuviel abgebuchte Summe mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück. "Da hat sich unsere Buchhaltung versehen, Entschuldigung", sei ein gängiger Satz in dem Metier, sofern nicht der "Computerfehler" bemüht werde.
Dass hinter den zuviel abgebuchten Beträgen ein ganzes Netzwerk von Betrügern stecken kann, ist Dirk Kawald bekannt. Der Kriminalhauptkommissar im Kommissariat "Wirtschaftskriminalität" bei der Bezirkskriminalinspektion Itzehoe (BKI) befasste sich in den Jahren 2004 und 2005 mit der Aufklärung von Straftaten, "die von einer größeren Tätergruppe im Zusammenhang mit dem bundesweiten Werben und Betreiben von Tier- und Kinderschutzvereinen begangen worden sind". Kawald: "Es wurden eine Reihe von Straftaten - gewerbsmäßiger Betrug, Untreue, Urkundenfälschung Insolvenz- und Steuerdelikte - mit einem Schadensvolumen in zweistelliger Millionenhöhe abgearbeitet." Der Haupttäter wurde zu einer fast siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Eingegangen in die Justizgeschichte sei das Ermittlungsverfahren unter der Bezeichnung "Arche 2000". Kawald weiter: "Noch während der laufenden Ermittlungen wurden von hier verschiedene Verfahren abgetrennt und in die zuständigen Bundesländer - Hamburg, Bremen, Bayern, Hessen, Brandenburg - gesteuert. Einige dieser Verfahren - unter anderem in Hessen - lösten Ermittlungsverfahren aus, deren Umfänglichkeiten das hiesige Verfahren übertrafen." Das ehemals der Drückerszene entstammende Milieu hatte sich zur Verstärkung und Beschleunigung seiner Aktivitäten auch der neuen Medien (Internet, Callcenter) bedient und in relativer kurzer Zeit einen großen Personenkreis (cirka 100.000), darunter auch hunderte Juristen und Polizisten, davon überzeugt, den von ihnen beworben Vereinen - "Arche 2000 Welt-Tierhilfe e.V.", "Arche 2000 Tier- und Umweltschutzverein" und "SOS Arche 2000" - beizutreten und mit einer unterschiedlich gestaffelten und individuell gefächerten und teilweise dubiosen Angebotspalette (u. a. weltweite Rückholung per Flugzeug von Tieren im Krankheitsfall) mit einem Mitgliedsbeitrag zu unterstützen. "Die Konten der Mitglieder wurden dann zwei- bis viermal im Jahr per Lastschriftverfahren mit den jeweiligen Jahresmitgliedsbeiträgen belastet. Im Falle des relativ seltenen Widerspruchs wurde der eingezogene Beitrag mit dem Hinweis auf einen Computerfehler zurückgebucht." In 18 Monaten (2003/2004) kam allein dadurch ein Schaden von über zehn Millionen Euro zustande. "Das auf diese Weise ertrogene Geld diente in erster Linie dem luxuriös geführten Lebenswandel der Haupttäter." Inwieweit die Urteile "abschreckend" waren, kann nur spekulativ beantwortet werden. Kriminalpolizeilichen Erkenntnissen zufolge haben sich aber Personen aus der zweiten und dritten Führungsreihe der vom Itzehoer "Arche-Verfahren" erfassten Vereine und Organisationen ähnlicher Strukturen bedient, sie verfeinert und im großen Stile erweitert. "Vereine, die vorgeben, sich um Not leidende Tiere oder kranke Kinder kümmern zu wollen, machen sich seitdem auf den 'Spendenmarkt' breit, treiben dort ihr Unwesen und betrügen hilfsbereite Menschen", hebt Dirk Kawald hervor und stellt fest: "Nach wie vor wird in deutschen Städten je nach Jahreszeit mit Clowns-, Hasen- oder Weihnachtsmannkostüm zum Beitritt in einen dieser Vereine geworben. Nicht selten sieht man in den Einkaufspassagen Stände von unseriösen 'Kinder- oder Tierschutzvereinen'. Vielfach klingeln unaufgefordert Telefone in Deutschland mit dem Ziel, neue Mitglieder zu werben." Haben die Betrüger dann die gewünschten Daten von den neuen Mitgliedern erhalten, werden die Informationen nicht selten gebündelt und in ganzen Datensätzen an andere dubiose Personen oder Organisationen weiter verkauft, die ihrerseits illegale Abbuchungen vornehmen. Entsprechende Aufnahme fand diese Thematik bereits in den Medien: Sendungen wie "Panorama", "WISO" oder "Markt im Dritten" nahmen sich der Spenden- und Mitgliedsproblematik in Zusammenhang mit dubiosen Vereinen an und versuchten eine entsprechende Sensibilisierung der Bevölkerung zu erreichen. Mit welcher Nachhaltigkeit in der Bevölkerung? - auch darüber kann Dirk Kawald nur spekulieren.
Betrügereien im kleinen und großen Stil hat es schon immer gegeben. "Das ist kein Phänomen oder eine Erfindung der Neuzeit", sagt Joachim Böttger mit Blick auf das "Arche-Verfahren". Und dennoch dürfe niemand glauben, dass der Spuk bald ein Ende habe - der Markt, das sei bekannt, gebe nun einmal sehr viel her. Doch wie begegnet man dem Treiben der Täter wirksam? Dazu Joachim Böttger: "Mit dem Wegfall des schleswig-holsteinischen Sammlungsgesetzes zum 1. Januar 2009, das unter anderem das Sammeln auf Straßen oder Plätzen regelte, ist der Bürger weit mehr gefordert als in der Vergangenheit. Bis Ende 2008 haben die hiesigen Ordnungsbehörden die Sammlungsträger kontrolliert, haben die Spreu vom Weizen getrennt." Erlaubt wurde die Sammlung unter anderem dann, wenn "genügende Gewähr für die ordnungsmäßige Durchführung der Sammlung und für die zweckentsprechende einwandfreie Verwendung des Sammlungsertrages gegeben ist und wenn nicht zu befürchten ist, dass die Kosten in einem Missverhältnis zu dem Reinertrag der Sammlung stehen werden". Begründet wurde das "Gesetz zur Aufhebung des Sammlungsgesetzes" (Drucksache 16/1617 des Schleswig-Holsteinischen Landtages - 16. Wahlperiode) mit folgenden Worten: "Kehrseite des (fürsorglichen) staatlichen Schutzes der Spendenbereitschaft sind Belastungen für Verwaltung und Sammlungsträger, wie sie durch das Erlaubnisverfahren, Überwachungs- und andere sammlungsrechtliche Pflichten verursacht werden. Da derart stark eingreifende Kontrollen zur Regulierung des Sammlungswesens aus der Sicht der Gefahrenabwehr nicht zwingend erforderlich sind, können die sich daraus ergebenen Belastungen im Lichte der angestrebten Verwaltungsmodernisierung und Entbürokratisierung nicht gerechtfertigt werden. Vielmehr ist das Subsidaritätsprinzip zu beachten, wonach der Bürger zunächst eigenverantwortlich seine Rechte wahrnimmt und die behördliche Gefahrenabwehr erst dann zum Zuge kommt, wenn ein effektiver Rechtsschutz nicht möglich ist. Im Übrigen kann der mit dem Sammlungsgesetz angestrebte Schutz angesichts der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Spendenmarkts nur noch höchst unvollkommen erreicht werden. So unterfallen die neuen Formen des 'Fundraisings' (Fernsehwerbung, Telefonmarketing und Internet-Auftritte) nicht der Erlaubnispflicht. Das Gesetz wird deshalb ersatzlos aufgehoben." Bereits mit Pressemitteilung vom 25. September 2007 betonte der damalige Landesinnenminister Dr. Ralf Stegner in diesem Zusammenhang: "Das bedeutet weniger Bürokratie für Veranstalter und Kommunen." Das allgemeine Ordnungsrecht und strafrechtliche Bestimmungen reichten aus, die Bürger vor "schwarzen Schafen" unter den Sammlern zu schützen.
Wie reagiert nun die Polizei in Schleswig-Holstein auf das Handeln der Straftäter?
In einer "Fachbesprechung Prävention" wurde festgelegt, ein polizeiliches Informationsblatt landesweit einzuführen und flächendeckend im Lande zu verteilen, federführend bei der Erstellung war die Polizeidirektion Itzehoe. Joachim Böttger: "Es kam mir darauf an, ein Flugblatt zu entwickeln, das einen lang anhaltenden und dauerhaften Präventionsansatz hat, der auch weit in die Fläche strahlt. Der Bürger Land auf und Land ab muss wissen, worauf er sich beim Spenden einlassen kann und worauf nicht." Das Informationsblatt gebe hinreichend Auskunft auf das, worauf der spendenbereite Bürger achten müsse, wenn er von Spendensammlern angesprochen werde.
Einige inhaltliche Auszüge aus dem Papier: "Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen, weder durch Werbende an der Haustür, am Telefon oder auf der Straße, noch durch gedruckte Spendenwerbung. Unterschreiben Sie nichts voreilig!" - "Spenden und Mitgliedschaften sind freiwillige Leistungen, zu denen niemand überredet, genötigt oder gar gezwungen werden sollte. Stark Mitleid erweckende und gefühlsbetonte Werbung ist ein Kennzeichen unseriöser Organisationen." - "Informieren Sie sich ausführlich im Internet über die Organisation und ihre Ziele. (Auch schon bei bestehender Mitgliedschaft!) Fordern Sie schriftliches Informationsmaterial. Reagieren die Werbenden ausweichend oder ablehnend auf die Bitte nach ergänzender schriftlicher Information, so ist Vorsicht angesagt." - "Lassen Sie sich bei ihrer Bank beraten. Erteilen Sie keine Einzugsermächtigung. Überweisungen per Dauerauftrag erfüllen auch ihren Zweck, und Sie behalten den 'Abbuchungsüberblick'. Erteilte Einzugsermächtigungen können jederzeit aufgekündigt werden." - "Kontrollieren Sie zeitig und genau, mit welchen Abbuchungen Ihr Konto belastet wird. Gehen Sie auch bei geringen Beträgen Unregelmäßigkeiten sofort nach. Lastschriften können auch nach sechs Wochen und darüber hinaus zurück gefordert werden." - "Vorsicht bei Vereinen, die nur Fördermitgliedschaften zulassen. Bei Fördermitgliedschaften gilt in der Regel nicht das Haustürwiderufsgesetz, das heißt, es gibt kein gesetzliches Rücktrittsrecht."
Trotz aller negativen Erfahrung, die Joachim Böttger und Dirk Kawald im Zusammenhang mit der "Spenden-Kriminalität" gemacht haben: Beide Beamte verweisen darauf, dass es zahlreiche Organisationen gibt, die seriös arbeiten und gewissenhaft mit denen ihn anvertrauten Geldern umgehen.
Wer Genaueres über eine Organisation erfahren will, der erhält eine ausführliche Spendenberatung beim "Deutschen Institut für soziale Fragen" in Berlin (DZI). Das DZI archiviert im Bereich der Organisationen-Dokumentation Erkenntnisse über gemeinnützige Spendenorganisationen. Es hält wertvolle Informationen und Tipps für Spendende bereit und erteilt Auskunft über anerkannte förderungswürdige Spenden sammelnde Organisationen. Zu erreichen ist das DZI über folgende Verbindungen: Bernadottstraße 94, 14195 Berlin, und www.dzi.de
Weitere Kontakte: www.charitywatch.de, www.spendenrat.de, www.stiftung-warentest.de.
Auskünfte in der Sache geben:
Dirk Kawald, Bezirkskriminalinspektion Itzehoe, Große Paaschburg 66, 25524 Itzehoe, Telefon 04821/602-3301; Joachim Böttger, Polizeidirektion Itzehoe, Große Paaschburg 66, 25524 Itzehoe, Telefon 04821/602-21.40.
Rückfragen bitte an:
Polizeidirektion Itzehoe
Pressestelle
Hermann Schwichtenberg
Telefon: 04821 / 602 2010
E-Mail: pressestelle.itzehoe@polizei.landsh.de
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